1. Mental stark am Berg - wie wir unsere Psyche bergfit machen
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07.02.2024

Mental stark am Berg - wie wir unsere Psyche bergfit machen

Das Handbuch «Mental stark am Berg – Training, Technik, Theorie» richtet sich an Freizeitsportlerinnen und Freizeitsportler, welche beim Bergsport mit mentalen Herausforderungen konfrontiert sind. Das im SAC Verlag herausgegebene Buch erscheint leicht aktualisiert in der 3. Auflage.

Von Regula Wegmann

Kennen Sie das Gefühl unbändiger Freude oder tiefer Befriedigung, wenn Sie nach einer anstrengenden Tour auf dem Gipfel stehen und den Blick in die Ferne schweifen lassen? Und im Gegenzug das Gefühl der Angst im Nacken, der plötzlichen Erstarrung, wenn eine Schneedecke verdächtig knackt? Die demotivierende Energie negativer Gedanken beim Aufstieg zum Vorgipfel? Oder das sich wild drehende Gedankenkarussell, wenn man beim Klettern 3 Meter oberhalb der letzten Sicherung steht?

Im SAC-Handbuch stellt die Autorin Maya Lalive die für den sommerlichen und winterlichen Freizeitbergsport geeignetsten mentalen Techniken und Werkzeuge kompakt und prägnant zusammen. Sie zeigt auf, wie diese Techniken im Alltag trainiert und bei der Ausübung des Hobbys am Berg angewendet werden können. Abgerundet wird der Inhalt mit diversen Fallbeispielen. 

Praktisch alle unsere Aktivitäten sind von Gefühlen und positiven oder negativen Gedanken begleitet. Dabei sind Gedanken und Gefühle selten neutral. Sie wirken motivierend oder demotivierend. Sie wirken leistungssteigernd oder leistungshemmend. Sie beeinflussen unsere Gedankenführung und damit das Ergebnis unserer Handlungen. Ob wir uns mutig und locker oder verängstigt und verkrampft fühlen, wirkt sich direkt auf unsere Bewegungsausführung aus.

In kritischen und angstbetonten Situationen, wie sie im Berggebiet auch bei vermeintlich harmlosen Aktivitäten beispielsweise infolge eines Wetterumbruches eintreten können, entscheidet oft die mentale Stärke über Erfolg oder Misserfolg, über Genuss oder Frust. Und wie die physische muss auch die psychische Fitness trainiert werden.

Zur Autorin

Maya Lalive (*1957) arbeitet als Coach und Sparringpartner für Privatpersonen und Unternehmen sowie als Projektentwicklerin und freischaffende Künstlerin. Sie coacht Freizeitsportler und Berufs- und Privatpersonen, wie sie ihre mentale Kraft entdecken, stärken und nutzen können, sei dies am Berg, im Beruf oder im Privatleben.

Zuvor war Lalive als Medienschaffende und Publizistin, als Unternehmenskultur- und Kommunikationsverantwortliche in internationalen Unternehmen sowie als nationale Politikerin und Vorsitzende zahlreicher ehrenamtlicher Organisationen aktiv.

Mit 50 Jahren entdeckte Maya Lalive ihre Kletterleidenschaft, welche sie in den folgenden Jahren auf zahlreiche Gipfel und in abenteuerliche Fels-Wände führte und sie mental an ihre Grenzen brachte. Dies war auch der Grund, dass sie sich berufsbegleitend am IAP in Zürich im Bereich «sportpsychologisches und mentales Training» weiterbildete.

Auslöser für das vorliegende Handbuch ist ihre Abschlussarbeit, die sich dem Thema Angst im Alpin- und Sport-Klettersport widmete.

Der Berg ist für sie konkrete Herausforderung und Metapher zugleich. Denn mentale Stärke ist nicht nur am Berg hilfreich, sondern auch im Berufs- und Privatleben.

Für SAC-Mitglieder kostet das Buch CHF 39.– im SAC-Onlineshop.

Auch erhältlich beim Weber-Verlag (20% Rabatt mit Code «SACUTO», portofreier Versand) sowie in Buchhandlungen und Bergsportgeschäften. Bei Bestellungen im Weber Verlag Onlineshop erhält die Sektion UTO eine Umsatzbeteiligung.

 

Interview mit Maya Lalive 

Was hat den Ausschlag gegeben, dieses Buch zu schreiben?

Mit knapp 50 Jahren machte ich im Bergell meine ersten Kletterversuche. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ein halbes Jahr später bestieg ich als Seilzweite den Badile auf der Cassin-Route innert 5 Kletterstunden. Ich lernte kletter- und bergtechnisch zwar schnell, doch die mentalen Herausforderungen verlangten mir alles ab. Dies bewog mich, einen berufsbegleitenden Ausbildungsgang in sportpsychologischem Training am IAP in Zürich zu machen und meine Abschlussarbeit dem Thema «Mentale Techniken und Werkzeuge im Umgang mit der Angst im Klettersport» zu widmen. Diese wiederum bildete die Grundlage für die Idee, ein Buch zum Thema “Mentale Stärke im Bergsport” zu schreiben. Ich kontaktierte den SAC und so kam eines zum anderen.

Hast du ein Erlebnis (oder mehrere), wo du selbst an die Grenzen kamst? 

Ja, das gab und gibt es immer wieder (nicht nur am Berg, auch privat oder beruflich). Ein Erlebnis ist mir besonders prägend in Erinnerung geblieben. Grimsel, Eldorado, Septumania. Mein Kletterpartner verstieg sich in eine noch nicht fertig gebohrte Route hinein. Plötzlich waren weit und breit keine Sicherungsmöglichkeiten mehr vorhanden. Einzig ein einsamer Bohrhaken glänzte einige Meter unter uns. Genug, um meinen Kletterpartner 20 Meter die arschglatten Platten hinunterzulassen, so dass er wieder auf die ursprüngliche Route kam und Stand machen konnte. So weit so gut. Nur ich stand noch oben und mich konnte niemand ablassen und Sichtkontakt bestand keiner. So blieb mir nichts übrig, als gemäss vorgängig erfolgter Order meines Kletterpartners mein Herz in die Hand zu nahmen, meine Sicherung zu lösen, meinem Partner und meiner Ausrüstung absolut zu vertrauen und Richtung des im Sonnenlicht schimmerndem Grimselsees die Platten hinunterzurennen bis dass sich das Seil an meinen Klettergurt spannte und mich stoppte. Adrenalin pur.

Viele Menschen haben je älter sie werden, mit Höhenangst zu kämpfen. Wie kann man diese Angst eindämmen?

Grundsätzlich gilt: Den Umgang mit angstbetonten Situationen lernst du auf dieselbe Art und Weise, wie du dir andere Fertigkeiten an- oder abtrainierst. Du musst dich dem Reiz aussetzen, schrittweise, begleitet und kontrolliert, bis dass dein Kopf und dein Körper diesen Reiz nicht mehr als bedrohlich wahrnehmen. In der Fachsprache sagt man dem Desensibilisierungsstrategien und/oder Situationstrainings. Diese kannst du real am Berg machen, indem du bspw. dich schrittweise deiner Angst aussetzt und lernst, diese auszuhalten und deine Handlungsfreiheit zu bewahren. Du kannst dies auch virtuell machen (heute bspw. kann man dies mit 3-D-Brillen oder Virtual Reality-Situationen machen oder als Vorstellungstraining (mentale Visualisierungen). Im Grund genommen ist es nichts anderes, als wenn du bspw. Skifahren oder eine andere Fertigkeit von Grund auf neu lernen musst. Du kommst immer wieder an deine Grenzen, wo du deine Komfortzone verlassen und dich auf etwas Neues, Unbekanntes einlassen musst, das dir Respekt oder auch Angst einflösst.

Diesen Prozess – den eigentlich jeder von uns kennst - kannst du nun mit «mentalen» Techniken und Werkzeugen unterstützen, indem du die 4 mentalen Einflussbereiche «Atmung», «Selbstgespräche/Gedanken», «Vorstellung» und «Aufmerksamkeit» bewusst nutzt.

Konkret heisst dies bspw.: Beruhigende Atmung um Frau/Herr der Lage zu bleiben, positive, affirmative Selbstgespräche, welche bspw. die Handlung «ein Fuss vor den anderen» oder deine Gefühle beeinflussen, Visualisierungen einer Bewegung «Geschmeidig wie eine Echse» oder eines Prozesses, eines Weges etc. und die Lenkung der Aufmerksamkeit bspw. «Weg vom Abgrund auf die Tourenskis des Vorsteigenden».

 Achtung: Angstempfinden abtrainieren ist ein Prozess. Das geschieht nicht von heute auf morgen. Das braucht Zeit und Geduld. Auf Knopfdruck geht dies nicht. 

Wie reagiere ich dann?

Beispielsweise indem man eine Pause einlegt und sich über das weitere Vorgehen Klarheit verschafft. Bin ich der Aufgabe gewachsen? Technisch? Konditionell? Mental? Falls ja, welche berg- und sporttechnischen und welche mentalen Techniken und Werkzeuge kann ich anwenden, um die kritische Stelle zu meistern? Falls nein, welche weiteren Möglichkeiten habe ich?: Abbruch, Umkehr, andere Route wählen, etc...

Wie erkenne ich Angst?

Indem man rechtzeitig bei sich selbst oder seinen Tourenkameraden an sogenannten «Markern» erkennt, wann jemand unsicher wird oder Angst verspürt, der Situation nicht oder nicht mehr gewachsen ist und entsprechend interveniert (Pause, Entlastung, Tour anpassen, abbrechen etc.).

Solche Marker sind bspw. «motorische Marker» (Stolpern, Stürzen, schlechte Koordination, Stöcke verlieren...), «Physiologische Marker» (Schweissausbrüche, unbegründetes Frösteln..), «Kognitive Marker» (Mangelnde Konzentrationsfähigkeit, störende Gedanken, Tunnelblick, negative Selbstgespräche...) oder «Subjektive Marker» (Wut, Angst, schlechte Laune, Pseudoeuphorie...).

Danach gilt wiederum: Zur Ruhe kommen (Atemtechniken), Uebersicht gewinnen, Handlungsoptionen eruieren, Entscheidung treffen, Fokussieren, Umsetzen. Und – nach erfolgreicher Rückkehr das Geschehene kritisch reflektieren: Wieso geriet ich in diese Situation? Lag es an meiner schwachen Psyche oder gibt es objektiv berechtigte Gründe für mein Angstempfinden? War ich bspw. zu wenig gut ausgerüstet? Fehlt es an meiner Skitechnik? Bin ich konditionell zu schwach? ...

Gibt es einen Unterschied zwischen Angst und Panik?

Umgangssprachlich spricht man von Panik, wenn die Angst ein Ausmass annimmt, das rationales Handeln und Denken nicht mehr erlaubt und die Person praktisch nicht mehr ansprechbar ist. Vorboten dazu können Herzrasen, Schweissausbrüche, Kurzatmigkeit, starke Übelkeit und Schwindel sein.

Wie kann man jemandem helfen, der Angst oder gar Panik am Berg hat?

Im Buch gibt es einen 6-stufigen Leitfaden «Keine Angst vor der Angst». Den kannst du für dich oder für deine Bergkameradin anwenden:

Je nach Situation und persönlicher Befindlichkeit reicht bereits der 1. Schritt, um deine Angst zu schmälern oder du startest gleich mit dem 2. Schritt. Persönlich steht bei mir als Erstes immer die Beruhigungs-Atmung im Fokus. Sobald ich meine Atmung unter Kontrolle habe, kann ich meine Gedanken sortieren, meine Bewegungen kontrollieren und mir über die effektive Lage, in welcher ich mich befinde, klar werden und entsprechende Handlungsstrategien ableiten. Das kann innert Sekunden erfolgen, je nachdem aber auch Minuten oder noch länger dauern. Das ist allerdings situativ und individuell unterschiedlich.

Die beste Hilfe ist natürlich, es gar nicht so weit kommen zu lassen, indem man sich nicht planlos in eine Situation begibt, der man nicht mehr gewachsen ist.

Denn dies ist leider noch allzu häufig der Fall. Oftmals sind die Ursachen unserer Angst aufgrund mangelnder Erfahrung am Berg, ungenügender Sport-Technik, falscher Planung, schwacher Kondition, schlechter Ausrüstung, geringer Sozialkompetenz etc. begründet. Ehrliche Selbsteinschätzung ist deshalb sehr wichtig. Auch das ist eine Form mentaler Stärke.

Und – ich weiss, das hören wir nicht gerne, aber ich gehe auch auf die 70 zu und darf dies deshalb sagen - wir müssen erkennen, dass wir im Alter halt nicht mehr dieselben Touren machen können wie in jüngeren Jahren. Altersgerechte Auswahl und Planung ist wichtig. Das klingt hart, aber so ist es nun mal.

Du machst auch Kunst: Inwiefern ist sie ein Ausgleich zu deinen Kletterabenteuern?

Das Klettern und die Kunst haben sich parallel zusammen entwickelt - im Sinne einer gegenseitigen Inspiration. Der faszinierende Mikrokosmos der Felsen, Gesteine, Flechten und Lebewesen in den Felswüsten haben meine Kunst stark geprägt. Jede Klettertour wurde so auch zu einem Fundort für Motive für meine Bilder und Installationen.

Hast du schon dein nächstes Buch geplant?

Jein, ich trage mich mit dem Gedanken, das Thema «mentale Kraft» als Erfolgsfaktor im Businessbereich stärker zum Tragen bringen zu lassen, das kann über ein Buch, aber auch über andere Formate wie Webinare, Workshops oder eine App sein. Denn was im Sport und speziell im Bergsport gilt, gilt auch im Privatleben und im Berufsleben. Die Techniken und Werkzeuge sind dieselben, nur die Anwendungen respektive konkreten Situationen sind anders.