1. Haute Route von Chamonix nach Zermatt
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02.06.2025

Haute Route von Chamonix nach Zermatt

Im Modul «Führen am Berg» wird das Bergunglück auf der Haute Route aus dem Jahr 2018 eingehend diskutiert. Und so kam es, dass Katharina Erfen mich angefragt hat, ob ich nicht Interesse hätte mit ihr zusammen diese Tour zu Planen und durchzuführen. Das war vor eineinhalb Jahren.

Von Daniel Andermatt

Während der Tour im April 2025 wurde schnell klar, dass die Herausforderungen für jede Person völlig anders sind und waren. Für mich als Hauptverantwortlicher Tourenleiter lag die grösste Herausforderung darin, eine Tour zu planen, welche wir wirklich durchführen können. Wo gehen wir durch, wo sollen wir Übernachten, können wir Zwischenverpflegung in den Hütten kaufen, gibt es Ladestationen für Handy’s etc., wo sind die Gefahrenstellen, was machen wir, wenn das Wetter während der Tour umschlägt, haben wir alternative Routenmöglichkeiten und und und…? Zudem musste auch alles andere passen: Gruppe, Kondition, Akklimatisation, Ausrüstung, Schneeverhältnisse, Wetter etc. Auf die beiden letzteren hatten wir keinen Einfluss und konnten nur hoffen. Aber den Rest lag in unserer Hand. Nach einigen Gesprächen und Treffen mit Katharina lag die Route fest: wir wollten möglichst ohne Umwege von Argentière nach Zermatt (also nicht über Verbier wie so viele andere das machen). Drei Wochen vor der Tour machten alle zusammen noch eine «Kennenlern-Tour» und das bei «schlechten» Wetterbedingungen und Lawinengefahrenstufe 3. Wir wollten sehen, ob die Gruppe auch bei solchen Verhältnissen funktioniert. Gleichzeitig konnten wir die Tour gemeinsam besprechen und auch noch das Gruppenmaterial genau abstimmen, so dass wir nicht zu viel dabeihatten. Trotzdem kam ganz schön viel zusammen. Meine Gesamtausrüstung inkl. der Hälfte des Gruppenmaterials wog 21kg!

Und dann stand die Tourenwoche vor der Tür. Alles passte: perfektes Wetter, welches es nur alle paar Jahre gibt, etwas wenig Schnee dafür gut gesetzt und eine Gruppe welche sich jeder Tourenleiter nur wünschen kann. Wir Teilnehmenden haben jeden Tag dokumentiert, wie ihr im folgenden "Tagebuch" lesen könnt. 

Tag 1: Anreise nach Argentière 1251m (Daniel Andermatt)

Da das Ref d’Argentière bereits im Herbst ausgebucht war hatten wir ein Hotel in Argentière gebucht, weshalb wir gemütlich im Verlauf des Tages anreisen konnten. Und trotzdem hatten wir noch genug Zeit, um auf der Hotelterrasse einen Apero zu geniessen.

Tag 2: Argentière – La Fouly 1595m (Daniel Andermatt)

Distanz 20.8 km, Höhenmeter 1196, Zeit 8:02

Schon am ersten Lauftag mussten wir die ersten Routenkorrekturen vornehmen. Die Gondel fuhr nicht bis Aiguille des Grands Montets was im Fahrplan des Skigebietes nicht ersichtlich war. Daraus ergab sich ein zusätzlicher Aufstieg von knapp 200-500hm je nach Variante. Aufgrund dessen würden wir auf der geplanten Route erst im Verlauf des Nachmittags über den Col de la Grand-Luy kommen was lawinentechnisch problematisch würde.

Also stellten wir die Route um: Gondel nach Aiguille a Bochard, weiter auf der geplanten Route zum Col du Chardonnet. Nun jedoch direkte Abfahrt nach Pras-de-Fort und mit dem Bus nach La Fouly.

Tag 3: La Fouly – Gr. St. Bernhard 2469m (Katharina Erfen)

Distanz 11.7 km, Höhenmeter 1195, Zeit 5:00

Der heutige Tag war in mehreren Belangen bEINDRUCKend. Nach dem Frühstück ging es bereits ereignisreich los - mit einer Busfahrt rückwärts die Strasse Richtung Le Clou. Nach kurzer Überzeugungskraft beim Busfahrer nahm er uns die 1.5 km mit in Tal, obwohl die Bushaltestelle im Winter nicht bedient wird. Ein weiteres Highlight ereignete sich auf Höhe der Alp Plan da la Chaux, wo wir einen Blick auf einen galoppierenden Wolf beim unten gelegenen Bach Dranse de Ferret erhaschen konnten. Vorbei an bereits freien Grashängen, alten Lawinenabgängen und einem namenlosen Gipfelkreuz erreichten wir den italienischen Passübergang und alsbald gleich das Hospiz. Die ehrfürchtige Stimmung in diesen dicken Gemäuern, das eindrucksvolle Museum über die Geschichte und der gut aufgestellte Mönch liess uns selig in den Tiefschlaf fallen.

Tag 4: Gr. St. Bernhard – Cabane de Valsorey 3032m (Andreas Steg)

Distanz 16.5 km, Höhenmeter 1733, Zeit 7:33

Start in den Tag mit einem, dem Klosterleben entsprechend, spartanischen Frühstück. Danach stand dann erst mal eine holprige 5km Abfahrt bis zu den „Menouve-Liftruinen“ an, spätestens dann waren alle wach.

Aufstieg „Montorge“ bis Pt.2922, 500hm Abfahrt und anschliessend ein schweisstreibender Aufstieg zur ursprünglichen „Cabane de Valsorey“ mit spontanem Empfang „like Fussballstars“ von Katharina & Michael.

Unterwegs auf langen, einsamen Aufstiegen, steigt in mir zuweilen auch Demut auf, das grosse Privileg zu haben, unbeschwert in dieser traumhaften Gegend unterwegs sein zu dürfen, fern von Krieg und aktuell unschönen Entwicklungen draussen in der Welt.

Heute ist zudem auch „Halbzeit“ unserer grossen Reise. Bis anhin ist alles wunderbar nach Plan gelaufen und alle Teilnehmer sind gesund und begeistert unterwegs. Dementsprechend ist die Stimmung bestens und alle sind zuversichtlich für die kommenden Tage.

Tag 5: Cabane de Valsorey – Cabane de Chanrion 2462m (Christian Mohr)

Distanz 14.0 km, Höhenmeter 982, Zeit 6:17

Nach sternklarer Nacht und kleinem Frühstück starteten wir mit Harscheisen den Aufstieg über den Glacier du Meitin. Nach 390 Höhenmetern wechselten wir auf Steigeisen, trugen die Skier bis zum Sattel beim Bivacco Musso vorbei und genossen die Sonne unterhalb dem eindrücklichen Grand Combin. Nach kurzer Abfahrt und leichtem Gegenanstieg zeigte sich erstmals auf der Tour das Matterhorn. Es folgte eine lohnende, teils pulvrige Abfahrt (ca. 800 hm) durch beeindruckende alpine Landschaft. Auf ca. 2730 m versuchten wir, möglichst höhengleich 1,5 km zurückzulegen – per Felle, Stöckeln oder kreativ kombiniert. Am sonnigen Rastplatz mit Zielblick folgte eine ausgiebige Mittagspause. Nach letzter Abfahrt und Aufstieg zur Cabane de Chanrion hiess das Programm Wellness, von Herzen zubereiteten Kaffee, gutes Essen, Materialpflege und Jassen.

Tag 6: Cabane de Chanrion – Cabane des Vignettes 3153m (Manuela Eisele)

Distanz 13.7 km, Höhenmeter 1405, Zeit 6:50

Nach Rücksprache mit dem Hüttenwirt, haben wir unsere Route etwas angepasst. Ziel des heutigen Tages ist die inzwischen sehr bekannten Hütte Vignettes (dort ist das Unglück der Haute Route passiert).

Heute steht alles im Zeichen von Gletscher. Da wir heute doch einen längeren Tag haben, starten wir um 7 Uhr. Man merkt, dass wir schon ein paar Tage unterwegs sind. Neben Erkältung, Blasen und andere Blessuren, lässt auch unser Material langsam nach. Bei 3 von uns, haben Probleme mit der Bindung, vor allem dass diese nicht mehr von selber schliesst und wir es händisch festmachen müssen. Gestern hatten wir noch einen Experten getroffen, der unsere Bindungen notdürftig repariert hat.

Mit einer leichten Brise und im Schatten tauchen wir in die Gletscherwelt auf. Wir lassen uns von Gletscherseen, Séracs und Gletscherspalten verzaubern. Nach ca. 4km und 450hm kommt die Sonne heraus und wir gönnen uns die erste Pause. Lagebesprechung, wie wir die Gletscherspalten (La Serpentina) durchqueren sollen und von unser Perspektive sieht es unüberwindbar auch. Aber auch hier zählt die Devise... erstmals etwas näher hingehen und dann nochmals schauen und beurteilen. Und zu unserer Freude finden wir einen super Weg durch die Spalten. Mit stetigen Schritten geht es weiter... und jeder geht in seinem eigenen Tempo. Wir überqueren nochmals die Weite und nochmals 650 hm, bis wir Punkt 3542 hm erreichen und das unsere 2 Pause ist. Wie schon die letzten Tage, sind wir alleine unterwegs und haben Top Bedingungen (Sonne pur). Gestärkt machen wir uns auf dem Weg zu unserem Gipfel Pigne d’Arolla). Zuerst müssen wir einen Steilhang 45Grad rauf, der teils mit Blankeis durchzogen ist. Dennoch gibt es auch hier noch eine recht gute Spur und wir erreichen unseren Gipfel (Pigne d’Arolla). Dort treffen wir auf eine weitere Gruppe ( insgesamt 4 Person). Die Aussicht von oben ist unglaublich. Wir sehen das Matterhorn etc... und es gibt wohl keine bessere Sicht. Wahnsinn! Von dort geht es auf der anderen Seite nach unten, vorbei am Denkmal von der Katastrophe. Noch einmal haben wir eine kleine Herausforderung zu überwinden, nämlich den felsigen Absatz in den Steilhang. Dieser ist nicht für jeden einfach, aber letzten Ende, schaffen wir alle diesen und erreichen die Hütte Vignette. Die Hütte ist voll und das erschlägt uns etwas weil wir auf unserer Tour kaum Leute gesehen habe und mit halbleeren Hütten verwöhnt waren. Tja, das ist wohl the Real life einer Haute Route.... die Hütte schwebt oben auf einem Felsen und den Nachmittag verbringen wir in der Hängematte oder beim Jassen. Am Abend beschäftigt uns nochmals die Katastrophe der Haute Route und besprechen, was wo und wie schief gelaufen ist. Müde fallen wir ins Bett, nur besonders viel schlafen wir nicht, Wir sind mit 10 Japaner im Zimmer, die morgens um 4 Uhr Höllenlärm machen, um am nächsten Tag die Hütte um 7 Uhr zu verlassen....

Tag 7: Cabane des Vignettes – Zermatt – Heimreise (Michael Stringl)

Distanz 30.3km, Höhenmeter 1399, Zeit 8:03

Das Grand Final beginnt an diesem Morgen mit einem unerwarteten Skiverlust in unserer Gruppe und einer eisigen Querung. Dank Danis heldenhaftem Einsatz kann der verlorene Ski gerettet werden, während ich nach der Querung ordentlich durchgeschwitzt bin!

Mit frischem Elan setzen wir unseren Aufstieg mit den Fellen in Richtung Tête Blanche fort. Heute ist die Route überraschend belebt, und beim Fussaufstieg zum Col du Mont Brulé kommt es sogar zu einem Stau. Dieser lässt uns die letzten ruhigen Tage in der schneebedeckten Unendlichkeit umso mehr schätzen.

Während wir uns der Tête Blanche nähern, kündigt sich ein deutlicher Wetterumschwung an. Das Wetter, mit dem wir eigentlich volle sechs Tage gerechnet hatten, hat uns schliesslich doch eingeholt. Daher beschließen wir, die Tête Blanche auszulassen, und stürzen uns in die scheinbar endlose Abfahrt über den Stockji- und Zmuttgletscher. Diese Abfahrt ist ein wahres Fest für die Sinne: beeindruckende Séracs, majestätische Hängegletscher und gigantische Seitenmoränen ziehen an uns vorbei. Und plötzlich ist es so weit: Wir haben Zermatt erreicht!

Tabelle Übersicht Haute Route

Tag

Ziel

Aufstieg

Abfahrt

Distanz

Zeit

1

Argentière

 

 

 

(4:24)

2

La Fouly

1163

2937

20.8

8:02

3

Gr. St. Bernhard

1205

370

11.79

5:00

4

Cap Valsorey

1706

1152

17.12

7:33

5

Cap Chanrion

985

1541

14.96

6:17

6

Cap Vignettes

1399

701

13.97

6:50

7

Zermatt

1425

2941

30.57

8:03

Total

 

7883

9642

109.21

44:45

 

Schlusswort / Gedanken zur Route (Michael Stringl)

So unkompliziert der Tourenbericht die Haute Route auch erscheinen lässt, möchte ich als Teilnehmer betonen, wie entscheidend eine gründliche Vorbereitung für den erfolgreichen Verlauf der Tour war. Bergsteigen und Skitouren sind immer ein Zusammenspiel vieler Faktoren, und Dani sowie Katharina haben stets eifrig sämtliche Einflussfaktoren neu kalkuliert. Die intensive Vorarbeit und das engagierte Handeln der Tourenleitung während der gesamten Route hatten massgeblichen Einfluss auf unseren Erfolg. Zusätzlich hatten wir das grosse Glück, durchgehend mit hervorragendem Wetter belohnt zu werden. All diese Elemente waren ausschlaggebend dafür, dass eine Tour dieser Schwierigkeit so reibungslos und sicher durchgeführt werden konnte. Für dieses Engagement und die sorgfältige Planung ein herzliches Dankeschön an unsere Tourenleitenden!