Nach vielen Stunden im Archiv, dem Durchblättern verstaubter Jahrbücher und dem Lesen von Festreden musste ich einsehen – es ist schwieriger als gedacht, herauszufinden, wann und warum genau, die einzelnen Disziplinen resp. Sportarten in der Sektion Uto integriert wurden.
Liebe Historiker:innen, Archivperlenjäger:innen, Uto-Veteran:innen und Alt-Tourenleiter:innen: Wenn ihr Hinweise, Geschichten, Quellen oder einfach eine vage Erinnerung habt – schreibt mir an redaktion@sac-uto.ch. Ich freue mich über jeden Hinweis. Gemeinsam können wir diesen Beitrag weiterentwickeln.
Fest steht: Die 10 Disziplinen der Sektion Uto entwickelten sich parallel zur Entwicklung des SAC selbst, getrieben durch Alpin- und Wintersportinteressen sowie durch gesellschaftliche und technische Veränderungen im 19., 20. und 21. Jahrhundert. Ihre Wurzeln reichen zurück bis zur Gründung des SAC am 23. Oktober 1863.
Der SAC – ein Produkt seiner Zeit
Die Geburt des Schweizer Alpenclubs war kein Zufall. Nach der Bundesverfassung von 1848 wuchs in der Schweiz ein starkes Nationalbewusstsein – und mit ihm der Wunsch, die eigene Natur nicht nur zu bestaunen, sondern zu erkunden.
Wissenschaftler wie Studer, Saussure und Toepffer forschten, dokumentierten und schwärmten von der Bergwelt. Der junge Geologe Rudolf Theodor Simler gab schliesslich 1862 den Anstoss zur Gründung eines eigenen Schweizer Vereins – als patriotische Antwort auf den 1857 gegründeten Alpine Club in London.
Am 19. April 1863 wurde im Bahnhofbuffet Olten der SAC gegründet. Schon damals mit dem Anspruch: Ein Verein für alle – nicht elitär, sondern naturverbunden, gemeinschaftlich und der Forschung verpflichtet.
Disziplin? Disziplin!
Die erste Disziplin des SAC war tatsächlich Disziplin. In den frühen Dokumenten wird viel über "kameradschaftliche Ordnung", "Pflichtbewusstsein" und sogar "militärisch inspirierte" Strukturen geschrieben. Der Seelenfrieden in der Natur war nur im Korsett klarer Regeln willkommen. Ein Hauch von Überheblichkeit umwehte sie schon – die Zürcher Männer mit akademischem Hintergrund und ihrer Leidenschaft für die Berge. Zumindest lässt sich das unschwer aus den feierlichen Reden jener Zeit herauslesen. Dass Frauen erst ab 1980 im Verein willkommen waren, ist wiederum eine Geschichte für sich.
Bergsteigen – Die Mutter aller Disziplinen
Ganz am Anfang stand das Bergsteigen – und zwar nicht als Sport, sondern als Kombination aus Erforschung, Nationalstolz und Naturverehrung. Für die Gründer des SAC und der Sektion Uto war das Bergsteigen eine patriotische Mission: Die Alpen sollten durchwandert, kartografiert, beschrieben, vermessen – und dabei auch „schweizerisch* erschlossen werden.
Tourenberichte, Vorträge, Zeichnungen und erste Gipfelkreuze entstanden. Das Bergsteigen war zu Beginn ein Sommervergnügen, das alle Spielarten von einfachen Wanderungen über alpine Hochtouren bis zur Gletscherforschung abdeckte. Noch war das Ziel für die Forschenden und Schöngeister dieser Zeit nicht sportliche Leistung, sondern geistige Auseinandersetzung mit der Natur.
Dennoch wurde früh klar: Wer in die Berge will, braucht Infrastruktur. Schon bald engagierte sich die Sektion Uto für den Bau von Hütten und Rettungsstationen – und für die Ausbildung von Tourenleiter. Aus der Kernaufgabe des Schweizerischen Alpenclub dem Bergsteigen entwickelten sich im 20. Jahrhunderts langsam die verschiedenen Sportarten Hochtouren, alpines Wandern/Wandern Alpinklettern und Plaisir-Klettern.
Kurswesen – Wissen schafft Sicherheit
Das Kurswesen wuchs aus der praktischen Notwendigkeit, Mitglieder systematisch auszubilden. Anfangs eng mit dem Tourenwesen verbunden, wurden ab den 1920er Jahren erste strukturierte Ausbildungskurse entwickelt – zunächst für Skitouren, später auch für Sommeralpinismus.
1925 wurde das Kurswesen als eigenständige Disziplin geführt. Schwierigkeitsgrade, Lernziele und ein Ausbildungspfad wurden definiert – ganz im Geiste des SAC, der nicht nur Abenteuer, sondern Verantwortung vermitteln wollte. Heute ist das Kurswesen eine tragende Säule des Vereins – vom Lawinentraining bis zum Mehrseillängen-Klettern.
Jugendorganisation – Vom Kraftmeiertum zur Struktur
Die Idee einer Jugendorganisation war früh da. Bereits 1906 schlug der Sekundarlehrer A. Baer vor, die Jugend zu fördern. Doch der Vorstand war wenig begeistert. 1910 wurde das Thema offiziell als „nicht mehr zu behandeln“ abgeschrieben.
Erst Prof. Dr. C. Täuber, später Präsident der Sektion, brachte das Thema 1912 mit neuer Überzeugung zurück. Erste Jugendwanderungen 1916/17 verliefen – sagen wir – durchwachsen. Die jungen Männer wollten lieber Grenzen testen als Wanderrouten folgen. Eine Wanderung wurde von den jungen Wilden sogar als „blöd“ beschrieben, wie der Vorstand mit Entsetzen feststellen musste.
Doch man blieb dran: 1921 wurde die Jugendorganisation gegründet – mit klaren Regeln, Zielen und viel pädagogischer Strenge. Die Idee: Wilde Wanderlust sollte in geordnete Bahnen gelenkt werden. Daraus entstand schliesslich die heute noch aktive und erfolgreiche Uto-Jugend.
Sängergruppe und Orchester – singende Bergsteiger
Auch die Stimmbändergymnastik war einst eine "Disziplin" der Sektion Uto: 1912 wurde auf Initiative von R. O. Müller, ein Ballonfahrer und aktives Uto-Mitglied, eine Sängergruppe ins Leben gerufen. Sie wurde sogar aus der Sektionskasse unterstützt – ein Hinweis auf ihre Bedeutung.
Ob bei Hüttenabenden, Festakten oder Jubiläen – der Uto-Chor gehörte dazu. 1931 folgte das Uto-Orchester, unter Leitung von Dr. Oskar Pfister. Musik und Bergwelt gingen hier eine seltene, aber stimmige Verbindung ein. Heute existieren diese Gruppen nicht mehr aktiv – doch sie erzählen vom kulturellen Reichtum der Sektion.
Seniorengruppe – Aktiv mit Aussicht
1922 wurde die Seniorengruppe offiziell ins Reglement aufgenommen. Ältere Mitglieder wünschten sich ruhigere, einfachere Touren – und eine Gemeinschaft, in der man auch mit grauen Haaren nicht nur willkommen, sondern gefragt war. Des Weiteren hatten einige ältere Mitglieder Mühe mit dem steigenden Mitgliederwachstum und der daraus resultierenden Anonymität. Bis heute zählen die Senior:innen zu der aktivsten Gruppe der Sektion - und gemäss vertrauenswürdigen Quellen erfreuen sich die Senioren wachsender Beliebtheit - auch bei jüngeren Mitgliedern.
Klettersteig-Touren - in “eisiger” Höhe
Was heute bei den einen für Nervenkitzel sorgt und bei vielen Kletterern verpönt ist, hatte einst einen ganz praktischen Zweck: Klettersteige wurden ursprünglich gebaut, um abgelegene Höfe und Bergdörfer zu versorgen. Steile Felspassagen wurden mit Leitern und Seilen begehbar gemacht – damit Mehl, Milch und Menschen sicher durchs Gebirge kamen.
Bereits 1492 wurde der Mont Aiguille in Frankreich mit Holzleitern erstbestiegen – ein historischer Moment, der als Geburtsstunde des Alpinismus gilt. Auch am Dachstein entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts frühe Routen mit Eisenstiften, Seilen und Tritten. Im Ersten Weltkrieg wurden Klettersteige schliesslich zu strategischen Wegen an der Alpenfront.
Ab den 1990er-Jahren entdeckte der Tourismus das Potenzial: Klettersteige wurden modernisiert und massentauglich – spannende, aber gesicherte Wege für alle, die das Abenteuer suchen. In der Schweiz war der Tälli-Klettersteig bei Gadmen 1993 der erste seiner Art. Andere wie der Braunwalder Klettersteig folgten.
Skitouren – Vom Skepsis-Sport zur Winterliebe
Skitouren wurden von der Sektion Uto zunächst mit Skepsis betrachtet. 1901 gab es zwar erste Winterexkursionen – jedoch ohne Ski. Der Skisport galt lange als „zu sportlich“, zu wenig „wissenschaftlich“, und war manchen einfach zu modern. Erst 1914 fand auf Druck einer Gruppe junger Mitglieder die erste Skitour statt, 1915 folgte die Gründung der Abteilung Skisport.
Die Skikommission von 1916 setzte sich das Ziel, den Wintersport systematisch zu studieren, geeignete Hütten zu prüfen und erste Ausbildungsangebote zu schaffen. In dieser Zeit wurden Stützpunkte in Glarus und Einsiedeln aufgebaut – und 1925 konnte das Uto-Haus auf der Ibergeregg feierlich eröffnet werden. Das war ein Meilenstein: Die Sektion hatte nun ein eigenes Zentrum für den Wintersport. Skikurse, Übungstouren und alpine Ausbildung folgten – in einer Zeit, in der kaum jemand Ski fahren konnte. Die technische Entwicklung spricht hier Bände: wer sich noch an die dünnen Latten und das Robbenfell erinnert, weiss, wie sehr die technologische Entwicklung dem Skifahren und dem Skitouren einen Boom verpasst hat.
Snowboardtouren – Die Jugend kommt ins Rutschen
Snowboardtouren hielten ab den 1980er-/90er-Jahren auf den Bergen Einzug. Anfangs als rebellisch oder unkonventionell belächelt, fanden sie ihren Platz im winterlichen Angebot, wenn auch nicht offiziell. Damals aber waren die "Kauze" mit dem Snowboard auf dem Rücken und Schneeschuhen an den Füssen unterwegs. Erste Snowboarder bastelten sich selber Splitboards. Doch es sollte noch bis weit ins 21. Jahrhundert dauern, ehe ein wirklich taugliches Splitboard entwickelt wurde. Heute werden im Uto reine Snowboardtouren angeboten, oft sind die Teilnehmenden aber auch mit den Skifahrern gemixt.
Schneeschuhtouren – Der sanfte Weg im Winter
Ist genau genommen die älteste Disziplin: Schneeschuhe sind ein uraltes Hilfsmittel zur Fortbewegung, das vermutlich vor 4.000 bis 6.000 Jahren in Zentralasien erfunden wurde. Damals aus Knochen, Holz, Leder, Sehnen oder Fellen. Zeitsprung: Mit dem Trend zum sanften Winterwandern, besserer Bekleidung und Matrialien und einem wachsenden Angebot kamen in den 1990er Jahren auch Schneeschuhtouren ins Programm. Sie bieten eine zugängliche Alternative zum Skitourengehen – und erfreuen sich bei vielen Altersgruppen grosser Beliebtheit.
Eisklettern – Mit Pickel und Präzision
Die Wurzeln des Eiskletterns reichen tief in die Geschichte des Alpinismus – auch in der Schweiz. Schon 1890 bezwang der Engadiner Christian Klucker die Eiswand des Pizzo Roseg mit einfachsten Mitteln – ein Meilenstein der Pionierzeit.
Mit der Einführung von Steigeisen mit Frontzacken und gebogenen Eispickeln wie jenen von Yvon Chouinard wurde senkrechtes Eis erstmals kletterbar. Die sogenannte Piolet-Traktion revolutionierte den Sport und erschloss neue, extreme Routen.
Heute ist Eisklettern hochpräzise Technikarbeit. Die Sektion Uto ist vorne mit dabei – mit modernster Ausrüstung und Leidenschaft für die gefrorenen Wasserfälle, die (fast) jeden Winter in den Schweizer Tälern entstehen.
Mountainbike-Touren – Auf zwei Rädern in die Bergwelt
Als das Mountainbike in den 1990ern die Schweiz eroberte, reagierte auch der SAC - oder sagen wir so, einige MTB-angefressene Mitglieder. Die Sektion Uto baute nach und nach ein Angebot auf, das Fahrtechnik, Tourenplanung und Naturschutz kombiniert. Heute sind Mountainbike-Touren ein fester Bestandteil des Sommerprogramms. Auch hier hinterlässt der technologische und gesellschaftliche Fortschritt seine Spuren: Die MTB werden immer besser und die E-MTB sind an der Tagesordnung. Die Schweizer Tourismusregionen haben die Mountainbikers als Zielgruppe entdeckt und bauen entsprechend neue Trails aus.
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