1. Vom tiefsten zum höchsten Punkt der Schweiz: Brissago 197 m ü.M. – Dufourspitze 4’633 m ü.M.
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07.02.2024

Vom tiefsten zum höchsten Punkt der Schweiz: Brissago 197 m ü.M. – Dufourspitze 4’633 m ü.M.

Erfüllt von einem überwältigenden Glücksgefühl und doch beinahe fassungslos stehen wir am Sonntag, den 9. Juli 2023, um 9.45 Uhr auf dem majestätischen Gipfel der Dufourspitze. Etwas ungläubig blicken wir gegen Osten. Vor nicht einmal 17 Stunden sind wir mit unseren Rennrädern in Brissago, dem tiefsten Punkt der Schweiz, aufgebrochen.

Von Maja Dorfschmid und Raphael Tschopp

Was vor ein paar Jahren als Scherz ausgesprochen wurde, reifte zu einem leidenschaftlichen Traum und schliesslich zu einem Ziel heran. Und nun durften wir dieses einzigartige Vorhaben tatsächlich in die Tat umsetzen. Die erfolgreiche Realisierung dieses Unterfangens verlangte nicht nur nach purer Muskelkraft, Ausdauer und einer gewissen mentalen Stärke, sondern auch nach umfassender Planung und logistischem Geschick. Bereits im letzten Herbst begannen wir damit, die Route zu studieren. Schnell wurde klar, dass der kürzeste Weg, der von Brissago über Macugnaga und das Marinelli Couloir auf die Dufourspitze führt, aufgrund der technischen Herausforderungen und der Gefahr von Steinschlag für uns keine geeignete Option darstellte. Somit beschlossen wir, einen etwas längeren Weg in Kauf zu nehmen.

Klickschuhe gegen Trailrunningschuhe

Eine Strecke von 110 Kilometern und 1’650 Höhenmetern führte uns zunächst mit den Rennrädern entlang des malerischen Lago Maggiore, über Omegna zum Lago d'Orta und dann über den Passo della Colma hinauf ins Val Sessia bis nach Alagna. Dort erfolgte der grosse Material-Wechsel – wir tauschten unsere Klickschuhe gegen Trailrunningschuhe und packten warme Jacken, Handschuhe, Gstältli und Grödel in den Rucksack. Nach einer ausgiebigen Stärkung (mehr zu Logistik und Verpflegung später) brachen wir kurz vor Mitternacht in Alagna auf und machten uns auf den Weg hinauf zur Mantovahütte. Durch die milde Nacht folgten wir im Schein unserer Stirnlampen stets dem Track des Monterose Skyrace auf unseren GPS-Uhren. Wie schon bei früheren Projekten lautete auch hier unser Motto "Ufäschrübele" – sich zügig, aber bedacht und kontinuierlich nach oben bewegen. Ab etwa 2’500 m ü.M. wurde das Gelände weglos und die Navigation durch Geröll, Blockgelände und Schneefelder erforderte unsere Konzentration – doch genau das war es, was uns vor der Schläfrigkeit bewahrte.

Die Dufourspitze war zum Greifen

Nach knapp fünf Stunden Aufstieg erreichten wir die Mantovahütte auf 3’498 m ü.M. Welch ein Kontrast, nach einer stillen und einsamen Nacht, bei einer Hütte mit über 100 Plätzen anzukommen. Dort erwartete uns Kollege und Bergführer David Hefti bereits und nach einer wohlverdienten Pause mit Kaffee und Mars-Riegel sowie einem Wechsel von den Trailrunning- auf die Bergschuhe, brachen wir bei Sonnenaufgang als Trio auf zum Ghiacciaio del Lys auf. Vorbei an der Gnifettihütte und etwa 300 weiteren Bergsteigern schritten wir voran, stets Davids sportlichem Tempo folgend und zügig an Höhe gewinnend. Die Kulisse war atemberaubend, doch die Luft wurde spürbar dünner und zerrte an unseren Kräften. In solchen Momenten zählen einzig und allein die simplen Handlungen: Gehen, Atmen, Trinken und immer mal wieder einen Gel als Energiespender «reindrücken». Plötzlich standen wir auf der Zumsteinspitze und die Dufourspitze war zum Greifen nah – nur noch ein schmaler Schneegrat hinab zum Grenzsattel und eine elegante Kletterei im unteren dritten Schwierigkeitsgrad trennten uns vom höchsten Punkt der Schweiz. Also Steigeisen an die Füsse, fokussiert und konzentriert zuerst runter und dann wieder rauf, Schritt für Schritt.

Glücklich und müde zuoberst - und dann zurück

Auf der Dunantspitze wurde uns allmählich bewusst, dass wir es schaffen würden. Es galt noch einige kleine Felstürme zu umgehen oder zu überklettern und dann standen wir auf dem Gipfel der Dufourspitze – überwältigt, glücklich, müde und irgendwie fassungslos. Es war 9.45 Uhr und wir blickten gegen Osten, wo wir um 17 Uhr am Vortag Brissago verlassen hatten…

Trotz emotionalen Glücksgefühlen über unseren erfolgreichen Gipfelsturm war es an der Zeit uns erneut zu fokussieren. Immer noch ruhig und sicher von David begleitet, stiegen wir über den Westgrat der Dufourspitze ab, gingen auf dem Monterosagletscher erneut in den Laufschritt über und kämpften uns schliesslich die letzten rund 200 Höhenmeter durch Blockgelände und Geröll hinunter zur Hütte – "Abeschlängele", wie wir es liebevoll zu nennen pflegen.

Um 12.45 Uhr erreichten wir die Monterosahütte! Wie köstlich schmeckten uns dort die Käseschnitte «Monterosa» und das erfrischende Bier. Knapp 20 Stunden nach unserem Start blickten wir nun voller Freude, Stolz, Dankbarkeit und Glück auf ein aussergewöhnliches Projekt zurück. Um all das Erlebte und Erreichte gebührend zu verarbeiten, werden wir wohl etwas mehr als 20 Stunden benötigen.

Ein grosses Dankeschön an Andreas und David

Ein erfolgreiches Projekt dieser Art bedingt eine Vielzahl gut funktionierender Elemente und ohne die zuverlässige Unterstützung von Andreas (Majas Lebenspartner) wäre dies alles nicht möglich gewesen. Andreas begleitete uns bereits am Samstagmorgen ab Zürich und chauffierte uns mit unseren Rennrädern und allem weiteren Material via Bellinzona, wo David zustieg, nach Brissago. Während wir in Brissago einige Stunden ausruhen konnten, fuhr Andreas David nach Alagna, damit dieser die Bahn hoch zum Passo dei Salati erreichen konnte. David stieg dann zur Oresteshütte ab, denn sowohl die Mantova-als auch die Gnifettihütte waren bereits Monate im Voraus «tutto completo». So durfte David nach einer kurzen Nacht am frühen Sonntagmorgen als kleines «warm up» die rund 1’000 Höhenmeter hoch zur Mantovahütte steigen. Dabei hatte er freundlicherweise, nebst einem Seil, als Extragewicht unsere Bergschuhe und Steigeisen in seinem Rucksack. Nachdem er David in Alagna abgesetzt hatte, fuhr Andreas von Alagna etwas zurück und organisierte in Varallo einen ersten Verpflegungsposten nach etwa 70 Kilometern der Velostrecke um dann umgehend nach Alagna zurückzufahren und uns mit einem nächtlichen Pasta-Schmaus sowie dem nötigen Material für den Weitergang zu empfangen. Andreas Logistik-Marathon ging am frühen Sonntagmorgen weiter mit der Fahrt über den Simplonpass nach Täsch, um mit der Bahn via Zermatt zum Rothenboden zu gelangen und von dort mit unseren frischen Kleidern, den Seidenschlafsäcken und Zahnbürsten zur Monterosahütte aufzusteigen.

Somit hatten sich alle Puzzleteile unseres Projektes zusammengefügt und wir konnten dieses erfolgreich umsetzen.